Theater mit Inbrunst – bis das Material ermüdet

Passend zum 75. Vereinsjubiläum des SC Grün-Weiß Großenvörde hat sich die plattdeutsche Theatergruppe seit langer Zeit mal wieder einem klassischen Ohnsorg Stück gewidmet. „Un boam wohnt Engels“ von Jens Exler, das im Jahre 1969 schon einmal vom SCGWG zur Aufführung gebracht wurde, stand am letzten Samstag auf dem Premieren-Programm im ausverkauften Gasthaus zur Post (bei Bodo) in Nendorf. Das letzte Stück der Großenvörder dieser Art war „Wenn de Hahn kreiht“ im Jahre 2005.

Der Dreiakter ist ein klassischer Hamburger-Mietshaus-Schwank und spielt in den 50iger oder 60iger Jahren in der Dachgeschosswohnung der Engel-Schwestern. Die herrische Helene Engel wird von Ulrike Siemann verkörpert, die nach vielen Jahren Theaterpause ihr Comeback gibt und so souverän agiert, als ob sie die Bretter, die die Welt bedeuten, nie verlassen hätte. Karola Wehking spielt ihre unterjochte Schwester Elvira und ist durch die facetten- und variantenreiche Darbietung in diesem Jahr der heimliche Star im durchweg überzeugend auftretenden Ensemble. Wenn es noch einen Theaterwettbewerb im Landkreis Nienburg gäbe – Karola Wehking wäre eine Topfavoritin für einen Podestplatz. Im Duo treten die beiden mit so viel Inbrunst auf, dass die Haltbarkeit eines zentralen Bestandteils des Bühnenbildes an seine Grenzen geführt wird. Der Teilzusammenbruch eines Tisches wird von der Truppe in der Premierenvorstellung aber in Gemeinschaftsarbeit mit unglaublicher Improvisationsgabe und Gelassenheit durch eine Spontanreparatur weggespielt, so dass sich der staunende Zuschauer fragt, ob das nun geplant oder ungeplant ist.

Bei diesem Samstagbend-Ausflug in das vergangene Jahrtausend spielen dann auch Aspekte eine Rolle im Stück, die der ganz jungen Generation bestimmt noch erklärt werden müssen: Beispielsweise gibt es ein Klosett auf der halben Treppe, Briketts im Kohlenkeller, die mit dem Eimer hochgetragen werden müssen oder einen Mülleimer für neun Familien. Die diskutierte Heizungsumstellung beschäftigt sich damit, ob eine Ölheizung trotz quittengelber Gardinen besser als der Kohlenofen ist – von LNG oder Wärmepumpe noch keine Spur.

Aber gerade die konsequente Beibehaltung der Handlung in der „alten Zeit“ macht den besonderen Charme des Stückes aus. Und so kann Klaus – der Neffe der Engels – ungeniert über seine Tanten von „twei ohle Krahen, de kein Mann affkreergen hebbt“ sprechen. Das Schlitzohr wird von Manuel Barg gespielt, der den Hamburger Jung so überzeugend gibt, dass man an seinen Lippen hängt und immer gespannt ist, was er als nächstes ausheckt. An seiner Seite seine Jugendfreundin und frische Liebe Karen. Die Debütantin Laura Kleine spielt die wirbelnde Nachbarstochter so lebhaft und echt, dass man sich an die legendäre Herma Koehn aus dem Ohnsorg Ensemble erinnert fühlt und drauf und dran ist, sich in sie zu verlieben. Das ist ein mehr als gelungener Premierenauftritt für die Warmserin.

Die Nachbarsmutter Frau Schlüter versteht angesichts spukender Geister und des angestifteten Verwirrspiels die Welt nicht mehr und Maren Krüger gelingt es – bei ihrer erst zweiten Theatersaison – spielend das Gefühl der zunehmenden Verzweiflung auf die Bühne zu zaubern.

Und dann ist da noch der schnorrende Alfred Fritsche, dem Andreas Kruse das Schmarotzertum so routiniert und authentisch einhaucht, dass man nach dem Stück erstmal die Finger an der Hand zählt, die man ihm zur Gratulation für die Überzeugungskraft seiner Rolle gereicht hat. Man muss sich erst einmal wieder in der wirklichen Welt einfinden und realisieren, dass man dem begnadeten Laienschauspieler Andreas gegenüber steht und nicht dem unverschämten Nachbar der Engels. Sein Gegenspieler auf der Bühne ist der Hauswirt Herr Babbel, der versucht Herr der Lage zu bleiben, oder viel mehr zu werden. Das gelingt ihm nur so leidlich und der mit Freude anzusehende Dirk Sander schafft es, die Rolle des vermeintlichen Chef im Rings mit Leichtigkeit und Präsenz zu vermitteln.

Das detailverliebte Bühnenbild, mit Blick auf den Hamburger Michel – leistet seinen erheblichen Beitrag, dass man sich wahrhaftig auf eine lustige und kurzweilige Zeitreise begibt. Wer sich andere Inszenierungen des Stücks ansieht, wird erkennen, dass es Regisseur Friedhelm Siemann und seinem gesamten Team gelungen ist, die Ursprungsanlage des Stücks punktuell mit eigenen komödiantischen Ergänzungen zu verfeinern, die den Charakter des Stücks aber nicht verändern, sondern verstärken.

Das Team hinter der Bühne mit Lisa Barg, Gerhard Reckweg, Georg Buschorn, Margret Heineking, Wolfgang Könemann, Markus Reckweg und Angela Brüggemann sorgen dafür, dass das schwierige Timing des Stücks im Zusammenspiel mit vielen akustischen Effekten durchweg auf den Punkt funktioniert. Zudem sind Kostüme, Maske, Programmheft und Frisuren derart stimmig, dass man sich in der Tat in der Zeit versetzt fühlt.

Im Souffleurinnenkasten gibt es ebenfalls ein Debüt zu bestaunen. Lena Kruse, bisher „Stammkraft“ für alle Rollen, hilft bei den Einsätzen und gerade zu Beginn, lässt ihr Ensemble sie auch nicht im Stich und sorgt dafür, dass sie auch was zu tun hat. Dieser Einstieg ist mehr als überzeugend und zeigt, dass man sich auf sie als Stichwortgeber – wenn es dann mal nötig sein sollte – mehr als verlassen kann.

Wer nun Lust bekommen hat, sich diese Komödie auch einmal anzusehen, der kann sich noch um Karten für die beiden Vorstellungen am 17.02. im Theater auf dem Hornwerk in Nienburg bemühen. Die Reise der Grün-Weißen dorthin wird unterstützt durch Fahrzeuge der Firmen Nobbe und Jordan. Die weiteren sieben Vorstellungen in Nendorf sind bereits allesamt restlos ausverkauft.

Die Premierenfotos sind hier zu sehen:

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